Das Leben der anderen – Kaltakquise
Es ist 21:30 Uhr. Ich bin spazieren. Plötzlich taucht ein etwas dicklicher Mann ca. 30 neben mir auf. Er sitzt auf einem Fahrrad und fährt langsam neben mir her. Ich nehme einen Kopfhörer aus dem Ohr. Ein gekürztes Gesprächsprotokoll, ich habe natürlich nicht so einsilbig geantwortet, das wäre ja unhöflich.
A: Was machst Du hier?
J: Spazieren.
A: Ich gehe jetzt ins Casino, habe etwas zu viel Koks gezogen.
J: Pokerspielen oder einfach Automaten.
A: Automaten… Hast Du keine Freundin?
J: Nein, nicht mehr.
A: Ich dachte, Du bist schwul.
J: Nein.
A: Willst Du Sex haben?
J: Nein.
A: Ich lebe von Grundsicherung, aber das reicht mir. Willst Du wirklich keinen Sex haben?
J: Nein.
A: Du kannst mich ficken, ich hab Kondome dabei, Gleitmittel.
J: Nein.
A: Ich wohne alleine kriegt keiner mit. Kannst Du mal ausprobieren, ist geil.
J: Nein.
A: Wollen wir Vodka trinken?
J: Nein.
Langsam frage ich mich, wie das weiter gehen soll. Ich laufe nun schon eine Weile, während der Mann mich verfolgt. Realistischer Weise ist er keine Gefahr. Doch will ich auch nicht, dass er weiß, wo ich wohne. Soll ich weglaufen? Ihn anschreien?
Während ich darüber nachdenke, plätschert das Gespräch so vor sich hin.
A: Ich geb Dir auch Geld.
J: Nein, ich brauche kein Geld. Vielleicht findest Du am Bahnhof jemanden.
A: Nein, die sind nicht trainiert genug.
J: Dann geh in die Spielo.
A: Da habe ich kein Glück.
Irgendwann ist er dann einfach umgedreht. Ich war erleichtert und doch enttäuscht, dass er sich nicht verabschiedet hat.
Meine Mitbewohnerin meint, ich hätte nicht sagen sollen, dass ich keine Freundin habe. Als Frau sagt man ja oft, dass man einen Freund hat. Doch irgendwie ist mir erst sehr spät in den Sinn gekommen, dass dieser Mann mich sexuell belästigt hat.