Panajotis Kondylis – Machtfragen
Meine Unterstreichungen:
Hier zeigt sich konkret, wie sich die Verschmelzung von Denken und Wollen bei der Herausbildung eines Weltbildes auswirkt: das Denken rationalisiert nämlich das Bestreben des Wollens, Selbsterhaltung durch Machterweiterung zu gewährleisten und zugleich ermöglicht das Denken, wenigstens ideell, die Machterweiterung, indem es die Forderung nach Selbsterhaltung auf der breiten Grundlage des Weltbildes stützt.
Die maßgebliche, wenn auch negative Rolle des Feindes bei Entstehung und konkreter Gestaltung on weltanschaulichen Entschei- dungen wird jedoch an der einfachen geschichtlichen Tatsache unschwer sichtbar, daß bei keinem größeren organisierten Weltbild die Figur des Feindes bisher gefehlt hat, auch wenn an die Stelle von bösen Geistern oder etwa der Sünde das Unmoralische, das Unsoziale, die Unterdrückung oder die Entfremdung getreten sind - allesamt Begriffe, die sich mittels ihrer konkreten Interpretation auf konkrete („unwürdige”) menschliche Existenzen beziehen.
Der Feind nimmt somit den konkreten Inhalt der Entscheidung e contrario vorweg.
in der Regel kommt die Existenz, nach einem höchst ökonomischen Gesetz, mit geringeren Anpassungen der eigenen Identität aus, so daß peinliche Brüche und Übergänge, die mit einer Neuorientierung der Neuerschaffung des Weltbildes notwendig einhergehen, vermieden werden Können.
Die Herrschaft über diese Welt konnte sich m. a. W. deshalb verwirklichen, weil das Weltbild selbst im Hinblick auf die Bedürfnisse dieser Herrschaft angefertigt wurde.
Denn wir, wie die Betreffenden auch, kennen meistens nicht die Triebfedern in ihren Verästelungen auf den verschiedenen Ebenen der Existenz, sondern nur oder vornehmlich ihre logisch nachvollziehbaren Rationalisierungen. Der Entscheidungsakt oder -vorgang verliert sich somit großenteils in der unergründlichen biopsychischen Wurzel der Existenz.
Immerhin ist es keineswegs ausgemacht, daß Selbsterhaltung und -steigerung erst auf der Grundlage der objektiv wahren Selbsterkenntnis einer festen und kontinuierlichen Identität möglich ist; das Ich kämpft ja nicht abstrakt um und für sich, sondern innerhalb einer konkreten Welt, und deshalb vermischt sich unvermeidlich sein Image bei den anderen, das schon zwecks Verständigung mit ihnen wenigstens teilweise übernommen werden muß, mit seinem Selbstverständnis, gleichviel, ob dies in positivem oder in negativem Sinne, nämlich als Hingabe oder als Abgrenzung erfolgt. Unter diesen Umständen „wahres” und „tiktives”, „ursprüngliches” und „abgeleitetes” Ich voneinander trennen zu wollen, kommt einer Quadratur des Kreises gleich.
So wird Macht vornehmlich als Absage an die nackte eigennützige Macht angestrebt.
so muß jeder, der Machtansprüche stellt, den Sinn des Lebens groß herausstellen; denn die Sinnlosigkeit des Lebens würde auch die Sinnlosigkeit jedes Machtanspruchs implizieren und dem Aufruf, Opfer zu bringen, jede Verbindlichkeit entziehen.
Indem sich der Machtanspruch hinter dem Glauben an den Sinn des Lebens verschanzt, verschafft er sich die größtmögliche Objektivierung, die denkbar perfekte Verkleidung.
der Herrscher muss theoretisch dienen, um praktisch herrschen zu können.
Der Feind ist also nicht nur die Negation, sondern auch der Existenzgrund des Ausbaus eigener Macht und deshalb muß er auch, so paradox dies auch sein mag, gleichzeitig im Zaume gehalten und am Leben erhalten werden;
Anerkennung dessen, daß das Ideal bereits restlos verwirklicht wurde, eliminiert den Feind und läßt somit die eigene Herrschaft als überflüssig erscheinen.
daß gewisse Begriffe eben deswegen im Mittelpunkt von Auseinandersetzungen stehen, weil sie vieldeutig genug sind (oder werden können), um den streitenden Parteien einen gemeinsamen Kampfschauplatz bieten zu können.
Der Weg zur Macht fällt bestimmt nicht mit dem Weg zum Hedonismus zusammen
In Bezug auf letzte Fragen sind alle gleichberechtigt. Je spezieller, d.h. je irrelevanter eine Frage aus der Sicht des sozialen Machtkampfes ist, desto mehr werden Fachkenntnisse respektiert.
Es gibt keine Werte und es kämpfen auch keine Werte gegeneinander, sondern es gibt nur konkrete Existenzen, die auf dem Umwege der Aufstellung und Interpretation on Werten bestimmte Beziehungen zueinander umzuwerfen oder zu festigen suchen.
Die Objektivierung der Entscheidungen und die sich daran entzündenden Kämpfe um das Interpretationsmonopol über die Schlüsselbegriffe lassen also einer Schlichtung von existenziellen Gegensätzen durch Diskurs keine Chancen.
Verständigung bleibt zwar möglich, aber nur bei einer bestimmten Überschneidung der Perspektiven, die auf denselben Feind zielt;
Wahrheit ist Funktion der mit „Geist” ausgestatteten Existenz innerhalb einer konkreten Lage, d. h. mit Rücksicht auf bestimmte andere Existenzen.
das Trinitätsdogma z. B. spiegelt überhaupt nichts wider, sein Vorhandensein im sozial„geistigen” Universum läßt indes mit Sicherheit darauf schließen, es gebe ein individuelles oder kollektives Subjekt, das seine Identität und seinen Machtanspruch mit der Aufstellung und Verteidigung dieses Dogmas irgendwie verbinde.
Das Verhalten des Subjekts hängt daher mit dem Inhalt der von ihm angenommenen Ideen nicht direkt und logisch, sondern indirekt und symbolisch zusammen.
die Prinzipienerklärung […ist…] eine öffentliche Bekanntmachung seiner Identität, eine symbolische Benennung seiner Freunde und seiner Feinde.
Die Rationalisten versuchen m. a. W. das Denken als solches und in toto für sich zu monopolisieren, indem sie behaupten, der bloße Gebrauch des Denkens, wen er nur logisch tadellos erfolge, müsse die Richtigkeit der von innen vertretenen inhaltlichen Thesen bestätigen.
Der Wunsch der Irrationalisten, beim Mystisch-Irrationalen zu bleiben, und jede Rationalisierung desselben zu vermeiden, läßt sich indes kaum verwirklichen, da sie gezwungen sind, ihre Position argumentativ mitzuteilen und zu verteidigen.
Indem jemand also der polemischen Konsequenz vor der logischen den Vorzug gibt, macht er sich ungewollt auch die logischen Schwierigkeiten des Feindes zu eigen.
Vor allem die Tatsache, daß der Primat der polemischen Konsequenz schließlich die Aneignung der feindlichen Denkstruktur unter umgekehrten Vorzeichen (d. h. mit entgegengesetzten Denkinhalten) nach sich zieht, deutet – im Lichte der bereits <footer>S. 70</footer> erörterten Beziehung von Denkstruktur, und Denkinhalt zur Machtfrage – darauf hin, daß hier eine primäre Verbindung von logischem Widerspruch und Machtanspruch vorliegt, die unumgänglich ist, solange die betreffenden Seiten gleichzeitig Machtansprüche erheben wollen;
der Feind muß auf der idealen Ebene des Weltbildes vernichtet sein, gleichzeitig muß aber auch seine endgültige Vernichtung auf der Wirklichkeitsebene kontinuierlich verschoben werden, wen sich die Herrschaft des Vertreters und Interpreten des fraglichen Welbildes nicht erübrigen soll.
die Auffassung, der Mensch sei ein bloßes Stück Natur, welche an sich sinnlos sei, hat auf die Dauer mit der Rede von der Moral, die ohne die Annahme der Willensfreiheit leer wird, kaum harmonisiert werden können.
Ausmaß und Häufigkeit theoretischer Umkehrrungen werden also durch das allgemeine Prinzip bedingt, man müsse das Gegenteil dessen vertreten, wofür der Feind eintritt, ganz unabhängig davon, ob sich dadurch die jeweils eigene Position inhaltlich (drastisch) ändert.
selbst die Erkenntnissen von “Tatsachen” [ist] in Wirklichkeit eine Erkenntnis von Relationen
In relativ einfachen und homogenen sozialen Gruppen, in denen die Herrschaftsverhältnisse mehr oder weniger klar sind, Antagonismen in Grenzen gehalten werden und die Rücksicht auf Gegenargumente entsprechend abnimmt, nehmen Theorien, zumal die fürs soziale Verhalten direkt relevanten, die Form allgemeiner Maximen oder Sprüche an. Auch für die große Mehrheit der Mitglieder komplexer Gesellschaften, die ire existenzielle Intensität als existenzielle Zugehörigkeit erleben, bleiben Theorien nur in solcher Form brauchbar und auch denkbar.
Vor allem philosophische Theorien, die sich auf einem mehr oder weniger hohen Niveau von Kompliziertheit und Abstraktion bewegen, solange sie ausschließlich von Mitgliedern der Zunft formuliert oder widerlegt werden, verwandeln sich, sobald sie breitere Wirkung erlangen, in allgemeine religiöse, politische oder moralische Aussagen oder Vorschriften, die im Grunde banal sind und sich oft in die Sprache der Volksweisheit (“sei gut und ehrlich”) übersetzen lassen. Diese. Verwandlung ist weder Zufall noch unverdientes Schicksal. Denn jene Theorien bilden von Anfang an eine Versteinerung und Rationalisierung von gemeinmenschlichen Harmonievorstellungen, Wünschen und Hoffnungen die aber oft als solche hinter feingeschnitzten logischen Fassaden nicht gleich wiederzuerkennen sind.
Insofern haben philosophische Theorien nicht die geringste Relevanz außerhalb des Theoretikerkreises.
Zwischen empirischer Relevanz und empirischer Nachprüfbarkeit einer axiomatischen Theorie muß auf jeden Fall streng unterschieden werden.
Es darf auch nicht nach belieben alles mit allem vermischt werden; postmoderner Brei mag leicht verdaulich sein, solide Nahrung bietet er nicht.
Das Denken ist wesentlich polemisch.
Aber die Rolle der Intellektuellen bestand doch immer darin, Ideologie zu produzieren, praktisch verwendbare Stichworte zu geben. Warum sollte es anders sein oder anders werden? Nur Intellektuelle behaupten übrigens, daß Intellektuelle die Welt besser verstehen als alle anderen.
Die weltweiten materiellen Erwartungen orientieren sich nunmehr am Vorbild der westlichen Massendemokratie, während die materiellen Voraussetzungen für ihre Erfüllung fehlen.