Helmut Schoeck – Der Neid

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Meine Unterstreichungen:

Der Mensch als Neider

Der eigentliche Neider schließt sich von vornherein vom Wettbewerb aus.

S. 14

Nicht alle Kulturen haben Begriffe wie Hoffnung, Liebe, Gerechtigkeit, Fortschritt, aber so ziemlich jede, selbst die des einfachsten Naturvolkes, fand es notwendig, den Mitmenschen und seinen Gemütszustand zu be-zeichnen, der es nicht ertragen kann, daß ein anderer etwas ist, kann, hat, gilt, das er selber entbehrt, und der deshalb einen Lustgewinn darin findet, es beim anderen zerstört zu sehen, ohne es selber dadurch zu bekommen. Und alle Kulturen haben einen Begriffs- und Ritualapparat bereitgestellt, mit dem man sich gegen solche Mitmenschen zu schützen sucht.

S. 15

Neid und Sprache

Aller Neid ist zwischen Nachbarn – Neidhard meint, wenn der Nachbar ein Bein bricht, könnte er besser gehen.

S. 22

Der Neidische sieht, was den Neid bestätigt.

S. 22

”Die Neider werden sterben, aber der Neid wird sich vererben.” – “Der neidhart ist gestorben, hat aber vil brüder hinder jm gelassen.” – “Je mehr man dem Neidhart Gutes thut, desto schlimmer wird er.”

S. 23

Der neidische Mensch im Spiegel der Kulturen

Gesellschaftliches Leben wäre unmöglich, wenn es den Kulturen nicht gelänge, Zusammenarbeit auch von denen zu erzwingen, die eigentlich Grund zur Eifersucht und Neid haben.

S. 39

Der Neid beim Schadenszauber

Neidfurcht als Problem der Entwicklungsländer

Die Psychologie des Neides

[Konrad Lorenz] schildert z. B. die scharfe Rangordnung, die in jeder Dohlenkolonie herrscht: Streiten zwei beliebige Dohlen miteinander, so greife mit reflektorischer Sicherheit eine den Kämpfern an Rang überlegene stets zugunsten des rangtieferen der Streiter ein. „Jedes Mitglied der Dohlensozietät hat ganz einfach die Eigenschaft, gegen die ihm unmittelbar Untergeordneten reizbarer als gegen rangordnungsmäßig tief unter ihm Stehende zu sein. Am bösartigsten ist naturgemäß Alpha, der Despot, gegen Beta, der seine soziale Stellung am meisten gefährdet.”

S. 93f

Der Neid aus der Sicht der Sozialwissenschaften

Die Tatsache, daß die moderne Sozialpsychologie das Motiv des „Eingeschlossenseinwollens”, des „Beliebtseinwollens” überall dort einsetzt, wo man das Motiv der Neidvermeidung erwarten würde, ist selbst schon Symptom eines Verdrängungsvorganges.

S. 103

Nirgends [in Naturvölkern] – mit einigen sehr späten Ausnahmen – tritt der Glaube auf, die Gesellschaft müsse sich nach dem Neidischen richten, sondern nur, sie müsse sich vor ihm zu schützen wissen

S. 122

Das Verbrechen aus Neid

Neid der Götter und der Schicksalsbegriff

Der Neider in der Dichtung

Neid als Thema der Philosophie

Der Tugendlose Mensch, ohne Hoffnung, je tüchtig zu werden, reißt aus Neid seine besseren Mitmenschen herunter.

S. 190

Ob Kant wohl ahnte, daß aus den gemütsmäßigen und ideengeschichtlichen Wurzeln der Französischen Revolution, die er noch so genau mitverfolgen konnte, innerhalb eines Jahrhunderts fast für die gesamte Welt sein kategorischer Imperativ so umgeschrieben werden würde, daß es heißen kann: Neide so aufdringlich, daß die [wie wir wissen, allerdings vergebliche!] Beschwichtigung deines Neides zur Grundlage der allgemeinen Gesetzgebung wird! Oder genauer: Neide so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne! (Hier brauchten wir nur ein Wort im Satze Kants auszuwechseln: „neide” statt „handle!).

S. 195

»Und wenn denn einer aus dem niederen Volk, in dessen Herz dieser heimliche Neid auf Macht, Ehre und Auszeichnung der Mächtigen, Geehrten und Ausgezeichneten nicht kam und der auch von außen durch die Verdorbenheit sich nicht vergewaltigen lassen will; wenn er ohne feige Unterwürfigkeit, ohne Menschenfurcht, bescheiden, aber mit aufrichtiger Freude, jedem über ihm seine Ehre gäbe; wenn er dabei manchmal glücklicher und freudiger wäre als vielleicht sogar der, dem sie gilt: so wird wohl auch er die doppelte Gefahr entdecken. Von seinesgleichen wird er vielleicht als Verräter ausgestoßen, als sklavische Seele verachtet; und von den Begünstigten vielleicht mißverstanden und als aufdringlicher Mensch verspottet.«

S. 201 (Kierkegard)

In den meisten Fällen verbirgt sich ja hinter der tadelnden Floskel „Man tut so etwas nicht” doch nur die Warnung, wer so etwas tue, bezeuge seine Individualität, die ihm den Neid der weniger Selbständigen eintragen wird.

S. 203

Während der gewöhnliche Neid gackere, sobald das beneidete Huhn ein Ei gelegt hat und damit milder würde, gäbe es noch einen tieferen Neid: „Der wird in solchem Falle totenstill, und, wünschend, daß jetzt jeder Mund versiegelt würde, immer wütender darüber, daß dies gerade nicht geschieht. Der schweigende Neid wächst im Schweigen.”

S. 206 (Nietzsche)

Diesem gelingt etwas nicht; schließlich ruft er empört aus: ,So möge doch die ganze Welt zugrunde gehen!’

S. 207 (Nietzsche)

gaudere felicitate aliena

S. 218

In der Großstadt herrscht der Neid auf zahlreichen „Inseln”.

S. 219

Die marxistische Revolution könne nicht, entgegen ihrem Wahn, die Natur des Menschen ändern. Ehrgeiz, Stolz, Eitelkeit, Eifersucht und Neid bleiben unverändert wirksam im menschlichen Verhalten.

S. 220

Politik als Neidbeschwichtigung

Bei diesen ist der Gesetzgeber bestrebt, im Namen einer doch unerreichbaren Gleichheit, die wenigen unverhältnismäßig schwer zu besteuern, die aus irgendwelchen, selbst zugegebenermaßen legitimen Gründen wirtschaftlich sehr viel erfolgreicher oder begünstigter sind als die Mehrheit. Hier hat die empirische Sozialforschung bereits gezeigt, wie sehr es sich um den Egalitarismus kleiner intellektueller Kreise handeln muß, weil der durchschnittliche Wähler auf sehr große Einkommen kaum einen konkreten Neid spürt®. Neid ist vorwiegend auf die uns beinahe Gleichen gerichtet.

S. 224

Die sogenannten entwickelten Länder und Kulturgebiete haben im wesentlichen diesen Durchbruch zur stetig sich verbessernden Wohlstandsgesellschaft und technischen Umweltbeherrschung vollzogen, weil sich die Furcht aller vor dem Neid aller aus bestimmten soziologischen, religiösen und demographischen Gründen weitgehend eindämmen ließ.

S. 226

Wenn aber nun, wie es ganz offensichtlich ist, die meisten Politiker in den sogenannten Entwicklungsländern eine Rhetorik und eigene Überzeugungen hochspielen, die in der plumpsten Weise den Neid ihrer Bevölkerungen auf die reichen Industrieländer zu intensivieren suchen, ja diese als Ursache der eigenen Armut brandmarken, tritt eine Verstärkung des ohnehin bei diesen Menschen dank ihrer Kultur viel zu starken Neidgefühls auf.

S. 226

Lob der Armut

Man sehnt sich nach einer sozialen Situation, in der man bei keinem Mitmenschen sich vorstellen muß, daß er (nicht wir) von Neid auf andere – auf uns, aber nicht unbedingt auf uns selbst – aufgezehrt wird. Der Adlige oder der wohlhabende Gewerbetreibende, nicht selten vielleicht der Sohn oder die Tochter aus Familien der höheren Stände, schließen sich, stellvertretend für ihre gesamte Klasse – oder für alle Neiderreger in der Oberschicht – einer chiliastischen Bewegung an, unter deren Mitgliedern es erstens keinen Neid geben soll, die zweitens betont all die Werte verneint und verachtet, die Anlaß zum Beneiden gegeben haben, einer Bewegung, die sogar eine neue Welt verspricht, in der jede Möglichkeit zum Neiden aufgehoben sein wird.

S. 252

Der Sinn für Gerechtigkeit und die Idee der Gleichheit

Übrigens haben auch die meisten Naturvölker, die Primitiven, einen ausgesprochenen Sinn, ein Gefühl für Billigkeit und Reziprozität, das aber nicht mit einer Idee der Gleichheit verwechselt werden darf. Bei den Azande in Afrika behält jeder, der einem Verwandten ausgeholfen hat, ein Konto im Kopf über all die verschiedenen Leistungen, und er erwartet, daß der andere ein entsprechendes Konto führt und sich entsprechend verhält. Es gibt keineswegs, wie sich das abendländische Sozialromantiker immer vorstellen, in der primitiven Gesellschaft einen Sozialtopf, aus dem jeder nach Belieben schöpfen kann. Nicht zuletzt wären diese Menschen auch viel zu realistisch, um sich auf die Formel von Marx zu verlassen; von Jedem nach seiner Fähigkeit zu Jedem nach seinem Bedürfnis.

S. 258

Die Gleichheitsdogmatiker unter den Gesellschaftsphilosophen der letzten zweihundert Jahre übersehen meist, wie wenig es dem einzelnen auf Gleichheit mit den anderen ankommt. Sehr oft empört sich sein Sinn für Gerechtigkeit, gerade weil er nicht die Ungleichheit zugestanden bekommt, die ihm recht und billig erscheint.

S. 258

1959 fiel ein Gastspiel der Opernsängerin Rise Stevens an der Oper von San Francisco aus, weil sie zwar das geforderte Spitzenhonorar zugestanden bekam, aber nicht die Klausel, wonach kein anderer Star dasselbe Honorar gleichzeitig erhalten dürfe.

S. 259

Die Gleichheitsforderung ist immer eine Spekulation à baisse!

S. 259

Der amerikanische Weg, seit Jahrzehnten üblich, besteht im Prinzip, von dem es natürlich lokale Abweichungen gibt, darin, daß man die Kinder beider Geschlechter, aller Klassen und Elternhäuser, aller Begabungsstufen (vom Hilfsschüler bis zum Genie) vom 6. bis 18. Lebensjahr zusammen in Klassen und Schulen unterrichtet, deren Schülerbelegschaft weder dem Wohngebiet der Eltern noch der Intelligenz des Schülers, sondern allein dem Zufall überlassen bleibt: jeder hat die gleiche Chance gehabt, neben jedem anderen zu sitzen. Der unvorhergesehene, aber unvermeidliche Erfolg dieses Systems ist lediglich die Verschiebung des Prestigekampfes: da der Ausbildungsweg bis zum 18. Lebensjahr für den einzelnen fast nichts bedeutet, weil alle Katzen im Dunkeln grau sind, fängt dann nach Abschluß der sogenannten high school der verzweifelte Kampf der Eltern an, die Kinder um jeden Preis in ein möglichst prestige-reiches College zu stecken. Da nun, dank der im Namen der Gleichheit vollzogenen Abwertung der sogenannten höheren Schule bald schon 50 % aller Amerikaner in irgendein College geschickt werden, nimmt die Entwertung, die Qualifikationsschwäche, dieser Erziehungsanstalt zu, so daß sich heute 75% aller Absolventen dieser „Hochschulen”, die nun etwa 22 Jahre alt sind, beruflich noch genauso unausgewiesen fühlen, wie vor dreißig Jahren die Absolventen der „high school”. So setzt neuerdings als dritte Welle in Amerika der Ansturm auf die sogenannten graduate Schulen ein, also die eigentliche Universitäts- oder Hochschulstufe, deren Besuch nun bereits praktisch für alle Studenten durch Stipendien finanziert wird, ohne Rücksicht auf die Mittel der Eltern: es gibt aber heute schon mehr freie Plätze in den graduate schools als auch nur einigermaßen den Zulassungsbedingungen entsprechende Bewerber. So senden Universitäten Rekrutierer ins Land, die nach Talenten fahnden. Am Ende hat man nach ungeheuren öffentlichen und privaten Ausgaben eine Bevölkerung, in der solche, die bis zum 28. Lebensjahr auf der Schulbank saßen, genau so auf jene herunterschauen, die es nur bis zum 18. schafften, aber weil beide Gruppen, für das, was sie ihren Berufen entsprechend wirklich wissen und können müssen, viel zu lange „geschult” worden sind, leiden beide Gruppen an einer Lernmüdigkeit, einer Schalheit und sind oft genug; jeder auf seiner Stufe, gerade für die Berufe verdorben, die ihnen gelegen hätten.

S. 266

„Nicht eine grammar-Schule besucht zu haben wird eine viel schlimmere Disqualifikation sein als in der Vergangenheit, da damals jedermann wußte, daß es im Bildungssystem soziale Ungleichheiten gibt. Und das Gefühl des Ressentiments wird eher stärker werden als geringer, gerade weil der betroffene einzelne einsehen muß, daß es im Selektionsprozeß, der ihn von der grammar-Schule fernhielt, objektiv gültige Kriterien gegeben hat. So gesehen, mag anscheinende Gerechtigkeit untragbarer sein als Ungerechtigkeit.”

S. 268 (Glass)

Gleichheit der Chancen scheitert an der Ungleichheit der Individuen, sich der Chancen mit gleichem oder vergleichbarem Erfolg zu bedienen. Und diese Erfahrung ist bitterer als jene, bei der man weniger auf sich selber als auf die anderen blicken durfte.

S. 268

Es gibt ja in keiner Gemeinschaft, keiner Gruppe von Menschen so wirksame und abscheuliche subtile Methoden der sozialen Kontrolle wie diejenigen, die dafür sorgen, daß es keinem gelingt, aus der niedrigeren Gruppe nach oben hin auszubrechen und „besser zu werden”: Diese Beobachtung ist nicht nur wiederholt bei englischen Schulkindern gemacht worden, sondern auch bei den verschiedensten Minderheitengruppen in den Vereinigten Staaten. Die Aufstiegshemmung durch den sozialen Neid innerhalb der diskriminierten Gruppe ist oft sogar ausgeprägter - und nachweisbarer - als die Ausschließungstendenz bei der höheren Gruppe, in die hinein der Aufstieg für einzelne möglich wäre.

S. 269

In einer amerikanischen Schrift zum Problem der Gleichheit wurde einmal im Scherz vorgeschlagen, daß beim absolut „sozialgerechten” Wohnen selbstverständlich mindestens einmal im Jahr alle Mieter innerhalb des Gebäudes umziehen müßten, so daß der unter dem Dach ins Paterre kommt, der vom 1. Stock in den 5. usw., bis nach einigen Jahren jeder alle Vor- und Nachteile des Gebäudes genossen hat.

S. 272

Eine erträgliche, eine vernünftige Gesellschaft ist vielmehr diejenige, worin möglichst wenige sich mit ihren Neidgefühlen und Ressentiments beschäftigen und diese wenigen sie für sich behalten müssen, weil sie mit offenem Neid weder bei ihren Mitmenschen noch bei der Justiz auf Sympathie stoßen.

S. 279

Kein Mensch kann lernen, sich in eine soziale Umwelt einzuordnen, wenn er nicht durch frühe soziale Erlebnisse dazu vorbereitet wird, die ihm notwendigerweise die Qual, die Fähigkeit, die Versuchung mitgeben, jemanden und etwas zu beneiden. Freilich wird sein Erfolg als Mitglied einer Gemeinschaft davon abhängen, wie gut er diesen Antrieb zu kontrollieren und zu sublimieren versteht, aber ohne ihn zu kennen, wird er nicht aufwachsen können.

S. 281

Wir stehen also vor einer Antinomie, einem unlösbaren Widerspruch: das Beneiden ist die a-sozialste, die destruktivste Seelenhaltung, sie ist aber zugleich auch die am ausschließlichsten sozial orientierte. Und ohne die Rücksichtnahme aller Menschen wenigstens auf einen potentiellen oder imaginären Neid anderer kann es nicht die automatischen sozialen Kontrollen geben, auf denen jede Vergesellschaftung ruht. Wir brauchen den Neid zur sozialen Existenz, aber keine auf Dauer bedachte Gesellschaft kann es sich leisten, ihn zum Wertprinzip, zur Institution zu erheben.

S. 281

Die Schuld, ein Ungleicher zu sein

Die schuldbewusste Furcht, als ein Ungleicher zu gelten, steckt sehr tief im Menschen.

S. 284

In vielen, vor allem in amerikanischen, Büros, wird ähnlich wie in amerikanischen Schulklassen, die flinkere oder begabtere Person sehr bald ihre eigene Leistung absichtlich auf den Durchschnittswert der Gruppe senken, um dem Neid zu entgehen.

S. 286

Tournier sieht nicht, wie der Neid und die Schuldgefühle gerade dadurch immer größer werden, daß die Utopie der egalitären Gesellschaft beinahe verwirklicht scheint, aber damit eben doch gewisse existentielle Ungleichheiten erst recht ins Bewußtsein bringt.

S. 294

Die heute gern geübte, stilisierte Fernstenliebe dürfte manchmal auch, wofür einige Selbstzeugnisse sprechen, ein Alibi für mißglückte Nächstenliebe sein,

S. 296

“Sozial und ökonomisch positiv privilegierte Schichten empfinden unter sonst gleichen Umständen das Erlösungsbedürfnis von sich aus kaum. Sie schieben vielmehr der Religion in erster Linie die Rolle zu, ihre eigene Lebensführung und Lebenslage zu ,legitimieren’”

S. 298 (Max Weber)

Die Prominenten in der Gesellschaft der Gleichen

Die politikwissenschaftliche und biographische Literatur über die merkwürdige Tendenz sehr gebildeter Menschen, führender Künstler und Schauspieler, bewährter Naturwissenschaftler, sich dem Kommunismus zu nähern, ist umfangreich. Sie gestattet wohl die Vermutung, daß eine Persönlichkeit sich um so eher für ein philosophisch frisiertes, langfristiges kommunistisches Programm entscheiden wird (im Gegensatz zum kurzfristig rekrutierten Pöbel, den man zur Straßen-schlacht, zum Terror der ersten Tage braucht), je ungleicher, je ausgezeichneter eine solche Persönlichkeit in der Gesellschaft bereits ist, sofern sich diese Sonderstellung mit einem Schuldgefühl verbindet.

S. 301

Ähnlich wie in einer christlichen Welt, in der alle gleich gläubig sind, jeder, ohne Rücksicht auf seinen Stand und seine Position in der Welt, sich über den transzendenten Gott mit dem Nächsten verbunden und ausgesöhnt denken kann, ja, auf ihn nicht einmal neidisch sein darf, weil dies ein Tadel an der Weisheit Gottes wäre, so sucht sich der ungläubige Intellektuelle des zwanzigsten Jahrhunderts einen neuen Gott, der ihm denselben Schutz vor dem - oft nur vermutbaren - Neid der anderen und dieselbe Freiheit vom nagenden Schuldgefühl ob der eigenen Uberlegenheit verspricht wie einst der christliche Gott. Dieser Ersatzgott ist die progressivistische Ideologie, genauer die Utopie einer buchstäblich egalitären Gesellschaft.

S. 302

Die vom Neid erlöste Gesellschaft: eine Utopie

[V]iele Beobachter sind sich darüber einig, daß in einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft der Neid weniger Probleme verursacht als in einer sozial flüssigen.

S. 312

Das Neiden wird hierbei primär und allein als eine Funktion des Beneidenswerten, der größeren Güter, Bildung, Lebensgenüsse des anderen verstanden. Als Lösung bietet sich die Nivellierung an. Man mache die Menschen gleich. Ganz abgesehen von den weit unterschätzten praktischen und psychologischen Schwierigkeiten der buchstäblichen Nivellierung, übersieht diese Lösung die wichtige Funktion der äußeren Ungleichheiten. Der Neider kann sich ja mit dem besseren Aussehen, der länger währenden Jugendlichkeit, den Kindern, der glücklicheren Ehe seines Nachbarn nur dadurch abfinden, daß er aufs Einkommen, Haus, Automobil, die Ferienreise des anderen neidisch ist.

S. 312

Die reine sozialistische Gemeinschaft, vor allem die Kibbuzim in der ihnen eigenen besonders schwierigen Umwelt, können nur existieren und funktionieren, weil sie die Ergebnisse, die Leistungen individualistischer Gesellschaften verwenden können.

S. 315

Wenn es gegenwärtige Demokratien dahin bringen, daß die jeweiligen Inhaber öffentlicher Ämter prinzipiell, nicht weil sie sich etwas zuschulden kommen ließen, sondern nur weil sie die Autorität ausüben müssen, von einer boshaften Offentlichkeit pausenlos angegriffen werden, sorgen diese ressentiment-vollen Wächter der Demokratie dafür, daß immer mehr ein engerer Kreis von dickhäutigen Männern solche Ämter bekleiden wird, die zunehmend weniger empfindlich für die öffentliche Meinung sein werden.

S. 318

Bezeichnenderweise erregt es nun schon den ärgerlichen Neid, das Mißtrauen der Mitbürger, wenn der einzelne, selbst in Kulturen, die das Privatleben erlauben und seit langem kennen, wirklich von diesem Recht auf Alleinsein Gebrauch macht. Wer sich absondert, die Vorhänge zuzieht, längere Zeit unbeobachtet bleibt, ist potentiell immer ein Ketzer, ein Hochmütiger, ein Verschwörer.

S. 322

Um die volle Bedeutung dieses Brauchs zu würdigen, muß man wissen, daß in den USA an fast allen Hochschulen, in allen Fächern, auch den geisteswissenschaftlichen, vom Dozenten erwartet wird, daß er täglich von etwa 9 bis 5 Uhr in seinem Dienstzimmer zu finden ist, selbst wenn er keine Vorlesungen oder Sprechstunden an diesem Tag hat. Der Zwang der offenen Tür wirkt sich also auf einen sehr großen Teil der geistigen Arbeitszeit aus. Forscht man nun vorsichtig nach den Motiven dieser privacy-Phobie, so zeigt sich, daß es die tiefverwurzelte Sorge ist, ein Ungleicher zu sein, als hochmütig, verschlossen, unsozial, ja, als betont produktiv zu gelten, kurz: den Neid irgendeines anderen zu erwecken, der nicht die Selbstdisziplin zur Arbeit hat und über jede Unterbrechung froh ist.

S. 323

Wir sehen also, wie am Ende des egalitären Idealzustands, wenn alle gemeinschaftlich besitzbaren Güter längst kollektiviert sind, immer noch etwas übrigbleiben wird, das Anlaß zum Neid und damit zur Gefährdung der Gemeinschaft geben kann: das raumzeitliche bloße Dasein, als Individuum, als Privatperson genügt, um Ärgernis zu erregen.

S. 324

Albert Camus, im Alter von 40, beschreibt 1957 im Vorwort zu einer Neuausgabe früherer Essays (L’Envers et l’endroit) ausführlich, wie er von den Gefühlen des Neidens und des Ressentiments frei geblieben sei, obwohl seine frühen Lebensumstände im Arbeitermilieu allen Anlaß dazu geboten hätten: Armut sei eben nicht die Ursache des Neides. Camus verurteilt die Doktrinen und Bewegungen, die ihm dienen.

S. 327

Vielleicht ist die Utopie von der Gleichheit, also von der vom Neid erlösten Gesellschaft, für manche Intellektuelle, Generation um Generation, deshalb so anziehend, weil sie verspricht, für immer eine Utopie zu bleiben, stets neue Forderungen zu legitimieren. Nichts ist für den utopischen Intellektuellen schlimmer, als eine Gesellschaft, an der er nichts mehr auszusetzen hat.

S. 329

„Gleichheit am Anfang (Startgleichheit) kann man im Namen der Gerechtigkeit fordern, Gleichheit am Ende nur im Namen des Neides. Jedem das seine, fordert die Gerechtigkeit, jedem dasselbe der Neid.”

S. 332f (Alexander Rüstow)

Der bereits erwähnte amerikanische Anthropologe M. Spiro, der ein Jahr lang in einem solchen Kibbuz zu Forschungszwecken lebte, machte nun die Beobachtung, daß die kleinen Kinder, aufgewachsen in einer völlig egalitären, sozialen Umwelt, die für ihre Eltern keinerlei Privateigentum zuläßt, zunächst, etwa beim Spielen in ihren Gemeinschaftswohnhäusern (die Kinder werden nicht von den eigenen Eltern aufgezogen) ganz spontan und selbstverständlich Dinge wie Spielzeug, Handtücher usw. zu Privateigentum erklären, obgleich es dies auch auf dieser Stufe ausdrücklich für sie nicht gibt.

S. 337

Soziale Entrüstung

1964 war es von allen Kakaobohnen exportierenden Ländern allein das leidenschaflich sozialistische Ghana, das mit der Vernichtung der Kakaoernte anfing, um den Weltpreis in die Höhe zu treiben.

S. 342

Im Abfalleimer eines durchschnittlichen Haushalts können wir heute nicht-selten Lebensmittelreste finden, die irgendeinem anderen theoretisch einen leeren Magen gefüllt hätten (ob er sie angenommen hätte, ist fraglich). Wie sieht es in einem Menschen aus, der Nahrungsmittel im Abfalleimer erblickt?

S. 345

Bei manchen Naturvölkern, aber auch bei uns noch, gilt es bereits als eine verdammenswürdige Leichtfertigkeit, nur den Namen eines Unheils auszusprechen, das den Stamm einmal treffen könnte. Sorgt also einer gegen eine mögliche Katastrophe in besonders neuartiger, gründlicher Weise vor, erregt er den Unwillen seiner eventuellen Schicksalsgenossen, die teils über seine Vorsicht erbost sind, teils unbewußt fürchten, diese Vorsorge ziehe das Unheil an.

S. 346f

Mir fiel zum Beispiel Mitte der fünfziger Jahre, als die Sitzgurten in Automobilen von Sicherheitsexperten empfohlen wurden, aber sehr wenige Motoristen sich zum Einbau entschließen konnten, auf, daß der Besitzer dieser Gurten von gänzlich Unbeteiligten, etwa anderen Fahrern anläß-lich eines Halts bei der Tankstelle, boshafte, verächtliche und manchmal sogar irrational feindselige Bemerkungen hören konnte. Gezielte Befragungen ergaben dann, daß tatsächlich viele potentielle Benützer solcher Sitzgurte auf den Einbau verzichtet haben, weil sie diese Reaktion ahnten oder befürchteten.

S. 347

Der Neid der Steuereinzieher

Von ihnen [Maori] stammt der Begriff Tabu (tapu), der zum Schutze des persönlichen Eigentums entwickelt worden war. Wer irgend etwas galt, konnte mit seinem tapu sein gesamtes bewegliches Besitztum - Kleider, Waffen, Schmuck, Werkzeuge usw. - tabuieren, das heißt, durch andere unverletzbar, unstehlbar machen. Je höher der soziale Rang eines Menschen, desto stärker sein tapu. Man brauchte nichts auszuleihen und man konnte seine Sachen unbewacht die längste Zeit liegen lassen. Das tapu für ein Fischnetz beispielsweise galt als so stark, daß nur sein Hersteller in seine Nähe kommen durfte.

S. 355

Soziale Revolution

[J]e mehr die Bevölkerung eines Landes noch in Dörfern lebt, desto größer wird, unter einem Terrorregime, die disproportionale Dezimierung seiner begabteren Bevölkerungsteile sein, weil sie ja im Dorf - wo jeder jeden kennt und beneidet - viel leichter als Opfer vogelfrei erklärt und gefangen werden können.

S. 373

Eine Theorie des Neides in der menschlichen Existenz

Die Gesellschaft, in der sich keiner vor dem Neid irgendeines anderen fürchten müßte, besäße nicht die sozialen Kontrollmöglichkeiten, um überhaupt als Gesellschaft zu bestehen.

S. 388

Die Wissenschaften vom Menschen sollten sich herablassen, den Menschen in die Gleichung einzusetzen, so wie er ist, und nicht wie sie ihn sich vorstellen, nachdem er, aus unerfindlichen Gründen, dasjenige Antriebsmoment verloren hat, das es ihm, wie wir gezeigt zu haben hoffen, überhaupt erst ermöglicht hat, die für unsere Art charakteristischen Gemeinwesen zu bilden.

S. 390

Schon Francis Bacon sah, daß nichts den Neider so herausfordert und unzufrieden macht, wie eine irrationale Handlung, eine Abdankung von einer ihm überlegenen Position, in der Absicht, ihn zu entneiden. Es wäre an der Zeit aufzuhören, so zu tun, als ob der Neider für die Wirtschafts- und Sozialpolitik maßgebend sei.

S. 390