Die Zerstörung der Zeit als Erlebnis
Das Erlebnis der Zeit ist uns oft zuwider.
Wir reden hier von der letztlich ungreifbaren Zeit unseres Erlebens, von der all die anderen Zeiten abgeleitet haben. So ungreifbar ist sie, dass wir sie gar nicht mehr als Zeit ansehen. Unsere Betrachtung der Zeit ist derart entmenschlicht, dass wir sie synonym zur Uhrzeit machen.
Was ist Zerstörung? Die Nicht-Werdung durch Störung. Wir stören uns permanent selbst mit dem Ziel, die Zeit, insbesondere das zähe Fließen der Zeit, als Erlebnis zu vernichten – zu Nichte machen.
Diese Zerstörung geschieht in der Regel durch Zer-Streuung unserer Aufmerksamkeit, unserer Existenz. Zer-Streuung, Streuung, die in eine Auflösung mündet. Wir suchen oftmals Ver-Streuung; es ist ganz und gar schlecht, verstreut zu sein. Wenn man es schafft, sich zu zer-streuen, löst man sich auf, verschwindet – es bleibt keine Last mehr. Die Zer-Streuung befreit uns von jeder Last, weil niemand mehr da ist, der belastet werden kann.
Doch am Ende der Zer-Streuung wandeln wir in einer noch größeren Ver-Streuung, einem Zustand der gespaltenen Existenz, der fragmen-Tierten Aufmerksamkeit, in dem wir uns dessen aber schmerzlich bewusst sind. Wir könnten sagen, dass man sich mithilfe der Zer-Streuung eine ruhige Zeit oder schwere Losigkeit erkauft, doch existiert in der Zer-Streuung keine Zeit, da die vollständige Zer-Streuung auch die Zeit an sich auslöscht.
Wir springen von Welt zu Welt, ohne dass ein Eindruck jemals tief genug ist, um langfristige Spuren zu hinterlassen. Letztlich ist Zer-Streuung die vollständige Auslöschung jeglichen Erlebnisses. Jede Zer-Streuung ist ein Mikrosuizid, der uns in die Urzeit-Zukunft reisen lässt. Man denke an den Ausdruck „Zeit totschlagen“.
Leider läuft die biologische Zeit dennoch weiter; wir altern auch, während wir uns zer-streuen. Betrachtet man die Forschungslage zu Meditation, dann vermutlich sogar schneller, als wenn wir uns nicht zer-streuen.