Heidegger – Nietzsche I
Meine Unterstreichungen:
Heidegger – Nietzsche I
Wer nicht den Mut und die Ausdauer des Denkens aufbringt, mit Nietzsches Schriften selbst sich einzulassen, braucht auch nichts über ihn zu lesen.
Was und wie ist der Wille zur Macht selbst? Antwort: Die ewige Wiederkehr des Gleichen.
Nihilismus ist für Nietzsche nicht eine Weltanschauung, die irgendwo und irgendwann aufkommt, sondern ist der Grundcharakter des Geschehens in der abendländischen Geschichte. Auch da und gerade da, wo der Nihilismus nicht als Lehre oder Forderung vertreten wird, sondern scheinbar sein Gegenteil, ist er am Werk. Nihilismus heißt: Die obersten Werte entwerten sich.
»– Wir machen einen. Versuch mit der Wahrheit! Vielleicht geht die Menschheit daran zu Grunde! Wohlan!«
Nietzsche kehrt um und sagt: die Kunst ist das »Stimulans« des Lebens, solches, was das Leben aufreizt und steigert.
Nietzsche: »Wahrheit ist die Art von Irrtum, ohne welche eine bestimmte Art von lebendigen Wesen nicht leben könnte. Der Wert für das Leben entscheidet zuletzt.«
Mit Bezug auf das Sprichwort: »Wer zuletzt lacht, lacht am besten«, sagt er in der Umkehrung (VIII, 67): »Und wer heute am besten lacht, lacht auch zuletzt.« Gegenüber dem »nicht sehen und doch glauben« spricht er vom »sehen und doch nicht glauben«. Er nennt es »die erste Tugend des Er-kennenden«, dessen »größter Versucher« »der Augenschein« sei (XII, 241).
des Lebens: das Leben selbst zwingt uns, Werte anzusetzen; das Leben selbst wertet durch uns, wenn wir Werte setzen …«
Schelling hat in einem seiner tiefsten Werke, in der Abhandlung »über das Wesen der menschlichen Freiheit«, die 1809 erschienen ist, dargelegt: »Es gibt in der letzten und höchsten Instanz gar kein anderes Sein als Wollen. Wollen ist Ursein.«
Allerdings darf man nun nicht sagen, Nietzsches Lehre vom Willen zur Macht sei von Leibniz oder Hegel oder Schelling abhängig, um mit dieser Feststellung das weitere Nachdenken einzustellen. »Abhängigkeit« ist kein möglicher Be-griff, im das Verhältnis der Großen untereinander zu fas-sen. Abhängig ist immer nur das Kleine vom Großen. Es ist gerade deshalb »klein«, weil es meint, es sei unabhängig. Der große Denker ist dadurch groß, daß er aus dem Werk der anderen »Großen« ihr Größtes herauszuhören und dieses ursprünglich zu verwandeln vermag.
Das Seiende nach seinem Grundcharakter als Willen begreifen, ist keine Ansicht von einzelnen Denkern, sondern eine Notwendigkeit der Geschichte des Daseins, das sie begründen.
Der Wille gilt als eine Art von Ursache. Wir sagen: dieser Mann macht die Sache weniger mit dem Verstand als mit dem Willen; der Wille bringt etwas hervor, bewirkt einen Erfolg.
Ist dann das Wollen ein Wünschen mit dem Zusatz des eigenen Einsatzes? Nein - Wollen ist überhaupt nicht Wünschen, sondern Wollen ist: sich unter den eigenen Befehl Stellen, die Entschlossenheit des Sichbefehlens, die in sich schon Ausführung ist.
Wille ist, wie wir sagen, Ent-schlossenheit, in der sich der Wollende am weitesten hinausstellt in das Seiende, um es im Umkreis seines Verhaltens Festzuhalten.
Der große Wille hat mit der großen Leidenschaft jene Ruhe des langsamen Sichbewegens gemeinsam, die schwer antwortet, schwer reagiert, nicht aus Unsicherheit und Schwerfälligkeit, sondern aus der weit ausgreifenden Sicherheit und der inneren Leichtigkeit des Überlegenen.
»Lust ist nur ein Symptom vom Gefühl der erreichten Macht, eine Differenz-Bewußtheit - (— es [das Lebende] strebt nicht nach Lust: sondern Lust tritt ein, wenn es erreicht, wonach es strebt! Lust begleitet, Lust bewegt nicht -«
»Sich stärker fühlen - oder anders ausgedrückt: die Freude - setzt immer ein Vergleichen voraus (aber nicht notwendig mit Anderen, sondern mit sich, inmitten eines Zustands von Wachstum, und ohne daß man erst wüßte, inwiefern man vergleicht–).« (»Der Wille zur Macht«, n. 917)
ψυχη meint bei Aristoteles das Prinzip des Lebendigen als solchen, dasjenige, was ein Lebendiges zu einem Lebendigen macht und in seinem Wesen durchherrscht.
Für Hegel sind Wissen und Wollen dasselbe. Dies meint: wahrhaftes Wissen ist auch schon Handeln, und Handeln ist nur im Wissen. Schelling sagt sogar: das eigentlich Wollende im Willen ist der Verstand.
Leben hat nicht nur, wie Darwin meint, den Drang zur Selbsterhaltung, sondern ist Selbstbehauptung.
Es genüge der Hinweis auf ein Wort Hegels in der Vorrede zur »Phänomenologie des Geistes«. Hegel sagt hier von der »ungeheuren Macht des Negativen«: »es ist die Energie des Denkens, des reinen Ichs. Der Tod, wenn wir jene Unwirklichkeit so nennen wollen, ist das Furchtbarste, und das Tote festzuhalten, das, was die größte Kraft erfordert. Die kraftlose Schönheit haßt den Verstand, weil er ihr dies zumutet, was sie nicht vermag. Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. Diese Macht ist er nicht als das Positive, welches von dem Negativen wegsieht, wie wenn wir von etwas sagen, dies ist nichts oder falsch, und nun, damit fertig, davon weg zu irgend etwas anderem übergehen; sondern er ist diese Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt.«
Die Kunst ist nach dem erweiterten Begriff des Künstlers das Grundgeschehen alles Seienden; das Seiende ist, sofern es ist, ein Sichschaffendes, Geschaffenes.
»Unsre Religion, Moral und Philosophie sind décadence-Formen des Menschen. – Die Gegenbewegung: die Kunst.« (Nietzsche)
Die Kunst ist die ausgezeichnete Gegenbewegung gegen den Nihilismus.
»Der Wille zum Schein, zur Illusion, zur Täuschung, zum Werden und Wechseln ist tiefer, ›metaphysischer‹ als der Wille zur Wahrheit, zur Wirklichkeit, zum Sein.«
In dem geschichtlichen Augenblick, da die Ästhetik ihre größtmögliche Höhe, Weite und Strenge der Ausbildung gewinnt, ist die große Kunst zu Ende.
Wir sind nicht zunächst »lebendig« und haben dann dazu noch eine Apparatur, genannt Leib, sondern wir leben, indem wir leiben.
Die Kunst ist für Nietzsche die wesentliche Weise, wie das Seiende zum Seienden geschaffen wird.
Die Gegenmöglichkeit liegt darin, daß das Schaffende nicht der Mangel ist, sondern die Fülle, nicht das Suchen, sondern der volle Besitz, nicht das Begehren, sondern das Schenken, nicht der Hunger, sondern der Überfluss.
jeder große Denker denkt immer um einen Sprung ursprünglicher, als er unmittelbar spricht. Die Auslegung muß darum sein Ungesagtes zu sagen versuchen.
,Die Idealisierung des großen Frevlers (der Sinn für seine Größe) ist griechisch; das Herunterwürdigen, Verleumden, Verächtlichmachen des Sünders ist jüdisch-christlich.« (F.N.)
Der große Stil ist der aktive Wille zum Sein, so zwar, daß dieser das Werden in sich aufhebt.
Wille zur Macht ist eigentlich da, wo die Macht das Kämpferische in dem Sinne des bloß Reaktiven nicht mehr nötig hat und aus der überlegenheit alles bindet, indem der Wille alle Dinge zu ihrem Wesen und ihrer eigenen Grenze freigibt.
»Der Glaube an den Leib ist fundamentaler, als der Glaube an die Seele.« (»Der Wille zur Macht«, n. 491)
wonach die Kunst die Gegenbewegung gegen den Nihilismus ist; denn der Nihilismus, d. h. der Platonismus, setzt das Übersinnliche als das wahrhaft Seiende, von dem aus alles übrige Seiende als das eigentlich Nichtseiende herabgesetzt und verleumdet und als nichtig erklärt wird. So hängt alles an der Klärung und Begründung des fünften Satzes: Die Kunst ist mehr wert als die Wahrheit.
Das Leben der wirklichen Sprache besteht in der Vieldeutigkeit. Die Umschaltung des lebendigen, schwingenden Wortes in die Starrheit einer eindeutig, mechanisch festgelegten Zeichenfolge wäre der Tod der Sprache und die Vereisung und Verödung des Daseins.
Das Wort »Gott ist tot« ist kein atheistischer Lehrsatz, sondern die Formel für die Grunderfahrung eines Ereignisses der abendländischen Geschichte.
Es gibt kein Ziel mehr, in dem und durch das alle Kräfte des geschichtlichen Daseins der Völker zusammengeschlossen und für das sie zur Entfaltung gebracht werden könnten;
»Was den großen Stil macht: Herr werden über sein Glück wie sein Unglück: -« […] Herr werden über sein Glück! Dies ist das Schwerste. Über das Unglück Herr werden, das geht zur Not. Aber Herr werden über sein Glück… (F.N.)
»Wir sind keine Christen mehr: wir sind dem Christentum entwachsen, nicht weil wir ihm zu ferne, sondern weil wir ihm zu nahe gewohnt haben, mehr noch, weil wir aus ihm gewachsen sind, — es ist unsre strengere und verwöhntere Frömmigkeit selbst, die uns heute verbietet, noch Christen zu sein. —« (F.N.)
Umdrehung des Platonismus heißt zunächst: Erschütterung des Vorranges des Übersinnlichen als des Ideals.
Der Stellmacher [Wagner] ist ein Macher, der im Machen nach etwas ausblicken muß, was er selbst nicht machen kann. Die Idee ist ihm vor-geordnet, und er ist ihr nach-geordnet. Also ist er als Macher schon irgendwie ein Nach-macher.
Wüßten wir nicht, was Verschiedenheit heißt und was Gleichheit, dann könnten uns niemals verschiedene Dinge, d. h. überhaupt Dinge begegnen.
Also ist es das Schöne, was uns aus der Vergessenheit des Seins herausreißt und den Seinsblick gewährt.
Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt blieb übrig? die scheinbare vielleicht? . Aber nein! mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft!« (F.N.)
Die Eidechse zum Beispiel hört das leiseste Rascheln im Gras, sie hört nicht den in ihrer nächsten Nähe abgeschossenen Pistolenschuß. Demnach vollzieht sich im Lebewesen eine Auslegung seiner Umgebung und damit des ganzen Geschehens; nicht beiläufig, sondern als der Grundvorgang des Lebens selbst: »das Perspektivische [ist] die Grundbedingung alles Lebens«
»Wahrheit ist die Art von Irrtum, ohne welche eine bestimmte Art von lebendigen Wesen nicht leben könnte. Der Wert für das Leben entscheidet zuletzt.«
Nietzsche ist des Verhängnisses, das in diesem Wort, d.h. in der Sache liegt, nicht Herr geworden. Er sagt: »Schein, wie ich es verstehe, ist die wirkliche und einzige Realität der Dinge« (XIII, 50). Das soll nicht heißen: die Realität ist etwas Scheinbares, sondern: das Realsein ist in sich perspektivisch, ist ein zum-Vorschein-Bringen, ein Scheinenlassen, in sich ein Scheinen; Realität ist Schein.
»Der Wahrhaftige endet damit, zu begreifen, daß er immer lügt.« (F.N.)
Wir haben Lüge nötig, um über diese Realität, diese Wahrheits zum Sieg zu kommen, das heißt, um zu leben… Daß die Lüge nötig ist, um zu leben, das gehört selbst noch mit zu diesem furchtbaren und fragwürdigen Charakter des Daseins.« (F.N.)
»Um den Helden herum wird Alles zur Tragödie, um den Halbgott herum Alles zum Satyrspiel; und um Gott herum wird Alles — wie? vielleicht zur ›Welt‹? -« (F.N.)
»Bist du Einer, der als Denker seinem Satze treu ist, – nicht wie ein Rabulist, sondern wie ein Soldat seinem Befehle?« (F.N.)
Die Fachwissenschaft hat im Verlauf des 19. Jahrhunderts den Charakter einer Industrie angenommen; hier muß das Produkt, das fertiggestellt ist, möglichst rasch heraus, damit es für die anderen nutzbar werden kann, aber auch damit die eigene Entdeckung von anderen nicht abgefangen oder dieselbe Arbeit von anderen noch einmal getan wird.
Die großen Industriezweige und der Generalstab wissen heute bereits besser »Bescheid« über die »wissenschaftlichen« Notwendigkeiten als die »Universitäten«; sie haben auch bereits die größeren Mittel und die besseren Kräfte, weil sie in der Tat näher am »Wirklichen« sind.
Was man »Geisteswissenschaft« nennt, wird sich aber nicht zu einem Bestandstück der früheren »schönen Künste« zurückentwickeln, sie wird sich in ein »politisch-weltanschauliches« Erziehungswerkzeug umgestalten. Nur Blinde und Schwärmer werden noch glauben, es lasse sich das Bild und die Verteilung der Wissenschaften und deren Betrieb aus dem Jahrzehnt zwischen 1890 und 1900 für ewige Zeiten mit den jeweils passenden Übermalungen festhalten.
Im Unterschied zur »Wissenschaft« steht es in der Philosophie ganz anders. Wenn hier »Philosophie« gesagt wird, ist nur das Schaffen der großen Denker gemeint. Dieses hat auch in der Art der Mitteilung seine eigenen Zeiten und Gesetze. Die Eile des Herausbringens und die Angst des Zuspätkommens fallen hier schon deshalb weg, weil es zum Wesen jeder echten Philosophie gehört, daß sie von ihren Zeitgenossen notwendig mißverstanden wird. Sogar sich selbst gegenüber muß der Philosoph aufhören, sein eigener Zeitgenosse zu sein. Je wesentlicher und umwälzender eine philosophische Lehre ist, um so mehr bedarf sie erst der Heranbildung jener Menschen und Geschlechter, die sie aufnehmen sollen. So müssen wir uns noch heute damit ab-mühen, z. B. die Philosophie Kants in ihrem wesentlichen Gehalt zu begreifen und aus den Mißdeutungen seiner Zeitgenossen und Anhänger herauszulösen.
Gerade die »Gedanken«, denn diese bestimmen den Menschen noch mehr, sie bestimmen ihn erst zu dieser Nahrung, zu diesem Ort, zu dieser Luft und Gesellschaft; in dem »Gedanken« fällt die Entscheidung, ob der Mensch gerade diese Umstände übernimmt und beibehält oder andere wählt, ob er die gewählten Umstände so oder anders deutet, so oder anders mit ihnen fertig wird. Daß diese Entscheidung oft in der Gedankenlosigkeit fällt, spricht nicht gegen die Herrschaft des Gedankens sondern dafür.
»Gegen die Lehre vom Einfluß des Milieu’s und der äußeren Ursachen: die innere Kraft ist unendlich überlegen.« (F.N.)
Das Tragische hat überhaupt keinen ursprünglichen Bezug zum Moralischen. »Wer die Tragödie moralisch genießt, der hat noch einige Stufen zu steigen.« (F.N.)
»Es sind die heroischen Geister, welche zu sich selbst in der tragischen Grausamkeit ja sagen: sie sind hart genug, um das Leiden als Lust zu empfinden.« (F.N.)
Warum ist der Wiederkunftsgedanke die höchste Bejahung? Weil er noch das äußerste Nein, die Vernichtung und das Leid als zum Seienden gehörig bejaht.
»so bitte ich denn meinen Stolz, daß er immer mit meiner Klugheit gehe! Und wenn mich einst meine Klugheit verläßt: – ach, sie liebt es, davonzufliegen! – möge mein Stolz dann noch mit meiner Torheit fliegen! – – Also begann Zarathustra’s Untergang.«
denn indem Zarathustra die Wiederkehr auch der kleinen Menschen als notwendig erkennt, sich das Ja auch noch zu jenem abringt, woran er lange Zeit müde und traurig und krank war und was er abstoßen wollte, indem er mit diesem Ja die Krankheit überwindet und ein Genesender wird, nehmen die Tiere wieder das Wort. Und wieder sagen sie ihr Wort: die Welt ist ein Garten, wieder rufen sie Zarathustra heraus; aber jetzt sagen sie mehr und rufen ihn nicht einfach heraus, damit er erfahre und sehe, wie alle Dinge sich nach ihm sehnen. Sie rufen ihn, damit er den Singe-Vögeln das Singen ablerne: »Singen nämlich ist für Genesende«. Die Versuchung, den Wiederkunftsgedanken nur wie ein selbstverständliches und daher im Grunde verächtliches Gemurmel zu nehmen oder aber wie ein blendendes Gerede, ist überwunden.
um 1870 vermerkt sich Nietzsche schon sehr früh: »Ich glaube an das urgermanische Wort: alle Götter müssen sterben.«
Tot sind alle Götter: nun wollen wir, daß der Übermensch lebe, dies sei einst am großen Mittage unser letzter Wille!
Auch die Vorstellung, das Seiende laufe nach »Gesetzen« ab, ist eine moralisch-juristische Denkweise, daher gleichfalls Vermenschung. Im Seienden gibt es auch keine »Ziele« und »Zwecke« und »Absichten«, und wenn es keine Zwecke gibt, ist auch das Zwecklose, der »Zufall« ausgeschlossen.
All unser Vorstellen und Anschauen ist so, daß wir darin etwas, das Seiende, meinen. In jeder Meinung aber mache ich das Gemeinte zugleich und unausweichlich zum Meinigen.
In jenen Jahrzehnten des »Liberalismus« kam erst die Idee von »Weltanschauung« auf; jede »Weltanschauung« ist in sich, als solche liberal!
Allein, jede Wissenschaft handelt immer nur von einem bestimmten Bereich des Seienden und von diesem je in einer bestimmten Hinsicht. Die Philosophie aber denkt das Seiende im Ganzen in der Hinsicht, darin jede andere notwendig und im voraus miteingeschlossen bleibt.
[Nietzsche] fordert die höchste Vermenschung des Seienden und die äußerste Vernatürlichung des Menschen in einem.
»Meine Lehre sagt: so leben, daß du wünschen mußt, wieder zu leben, ist die Aufgabe, – du wirst es jedenfalls!« (F.N.)
»Wollen befreit: das ist die wahre Lehre von Wille und Freiheit - so lehrt sie euch Zarathustra.« (F.N.)
»Die Lehre der Wiederkunft wird zuerst das Gesindel anlächeln, das kalt und ohne viel innere Not ist. Der gemeinste Lebenstrieb gibt zuerst seine Zustimmung. Eine große Wahrheit gewinnt sich zu allerletzt die höchsten Menschen: dies ist das Leiden der Wahrhaftigen.«
Denn: Nietzsche versteht sein eigenes Denken als Nihilismus, insofern es durch den »vollkommenen Nihilismus« hindurchgeht und er »der erste vollkommene Nihilist Europa’s [ist], der aber den Nihilismus selbst schon in sich zu Ende gelebt hat, – der ihn hinter sich, unter sich; außer sich hat.« (»Der Wille zur Macht«, Vorrede n. 3)
Dies besagt aber jetzt: der Wiederkunftsgedanke ist nur zu denken im Mitdenken des Nihilismus als des zu Überwindenden und des im Willen zum Schaffen auch schon Überwundenen. Nur wer in die äußerste Not des Nihilismus hinausdenkt, vermag auch den überwindenden Gedanken als den not-wendenden und notwendigen zu denken.
Metaphysik ist dasjenige Fragen und Suchen, das immer geleitet bleibt von der einen Frage: Was ist das Seiende?
Daher ist es der härteste, aber auch untrüglichste Probierstein auf die denkerische Echtheit und Kraft eines Philosophen, ob er sogleich und von Grund aus im Sein des Seienden die Nähe des Nichts erfährt. Wem dies versagt bleibt, der steht endgültig und ohne Hoffnung außerhalb der Philosophie.
In diesen beiden Hauptsatzen – das Seiende im Ganzen ist Wille zur Macht; und: das Seiende im Ganzen ist ewige Wiederkehr des Gleichen – besagt das »ist« jedesmal etwas Anderes. Das Seiende im Ganzen »ist« Wille zur Macht, heißt: das Seiende als solches hat die Verfassung dessen, was Nietzsche als Wille zur Macht bestimmt. Und: das Seiende im Ganzen »ist« ewige Wiederkehr des Gleichen, heißt: das Seiende im Ganzen ist als Seiendes in der Weise der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Die Bestimmung »Wille zur Macht« gibt Antwort auf die Frage nach dem Seienden in Hinsicht auf seine Verfassung; die Bestimmung »ewige Wiederkehr des Gleichen« gibt Antwort auf die Frage nach dem Seienden in Hinsicht auf seine Weise zu sein.
Das Seiende und das Werdende sind zusammengeschlossen in dem Grundgedanken, daß das Werdende ist, indem es seiend wird und werdend ist im Schaffen.
Nietzsche selbst bezeichnet schon früh seine Philosophie als umgekehrten Platonismus. Die Umkehrung beseitigt die Platonische Grundstellung nicht, sondern verfestigt sie gerade durch den Anschein, als sei sie beseitigt.
Amor — die Liebe ist als Wille zu verstehen, als der Wille, der will, daß das Geliebte in seinem Wesen sei, was es ist.
Er denkt hinaus auf Jenes, worum herum eine Welt zur Welt wird. Dort, wo dieses Worum-herum nicht ständig und laut genannt, sondern im innersten Fragen verschwiegen wird, ist es am tiefsten und reinsten ge-dacht. Denn das Verschwiegene ist das eigentlich Bewahrte und als das Bewahrteste das Nächste und Wirklichste. Was für den gemeinen Verstand wie »Atheismus« aussieht und so aussehen muß, ist im Grunde das Gegenteil. Und ebenso: dort, wo vom Nichts gehandelt wird und vom Tod, ist das Sein, und nur dieses, am tiefsten gedacht, während jene, die angeblich allein sich mit dem »Wirklichen« befassen, sich im Nichtigen herumtreiben.
Der Denker fragt, um eine Fragwürdigkeit des Seienden im Ganzen zu gründen.
Was muß ich tun, damit ich selig werde?‹ Das weiß ich nicht, aber ich sage dir: sei selig und tue dann, wozu du Lust hast.« (F.N.)
Neue Wertsetzung sagt: Setzen anderer perspektivischer Bedingungen für »das Leben«.
Das Denkersein dieses Denkers und jedes wesentlichen abendländischen Denkers besteht in der fast unmenschlichen Treue zur verborgensten Geschichte des Abendlandes!
Wille zur Macht – eine einzigartige Herrschaft des Seins »über« das Seiende im Ganzen [in der verhüllten Gestalt der Seinsverlassenheit des Seienden].
Sätze von der Art des Nietzscheschen lassen sich überhaupt nicht widerlegen; denn eine Widerlegung im Sinne einer Nachweisung der Unrichtigkeit hat hier keinen Sinn; jeder wesentliche Satz weist auf einen Grund zurück, der sich nicht beseitigen läßt, der vielmehr nur fordert, gründlicher ergründet zu werden. Der gesunde Menschenverstand in Ehren, aber es gibt Bereiche, und es sind die wesentlichsten, zu denen er nicht hinreicht.
Das Vertrauen zur Vernunft und ihren Kategorien, zur Dialektik, also die Wertschätzung der Logik, beweist nur die durch Erfahrung bewiesene Nützlichkeit derselben für das Leben: nicht deren ›Wahrheit‹.
Wahrheit muß sein, aber das Wahre dieser Wahrheit braucht nicht »wahr« zu sein.
»Nicht ›erkennen‹, sondern schematisieren, – dem Chaos – so viel Regularität und Formen auferlegen, als es unserm praktischen Bedürfnis genugtut.« (F.N.)
Deshalb kann in der gegenwärtigen geschichtlichen Lage Verständigung nur heißen: der Mut zu der einzigen Frage: ob das Abendland sich noch zutraut, ein Ziel über sich und seiner Geschichte zu schaffen, oder ob es vorzieht, in die Wahrung und Steigerung von Handels- und Lebensinteressen abzusinken und sich mit der Berufung auf das Bisherige, als sei dies das Absolute, zu begnügen.
»(Das Zurechtmachen, das Ausdichten zum Ähnlichen, Gleichen, – derselbe Prozeß, den jeder Sinneseindruck durchmacht, ist die Entwicklung der Vernunft!)« (F.N.)
Alles Denken in Kategorien, jedes Vordenken in Schemata, d.h. nach Regeln, ist perspektivisch, durch das Wesen des Lebens bedingt, also auch das Denken nach der Grundregel des Denkens, d. h. nach dem Satz des zu vermeidenden Widerspruchs.
Hält aber der Mensch sich in einem Widerspruch, dann besteht freilich das Unmögliche nicht darin, daß Ja und Nein zusammengeworfen werden, sondern daß sich der Mensch aus dem Vorstellen des Seienden als solchen ausschließt und vergißt, was er in seinem Ja und Nein eigentlich fassen will. Durch widersprechende Behauptungen, die der Mensch ungehindert über dasselbe vorbringen kann, setzt er sich aus seinem Wesen in das Unwesen; er löst den Bezug zum Seienden als solchen. Dieser Abfall in das Unwesen seiner selbst hat darin sein Unheimliches, daß er sich stets wie eine Harmlosigkeit ausnimmt, daß dabei die Geschäfte und das Vergnügen genauso weitergehen wie zuvor, daß es überhaupt nicht so sehr ins Gewicht fällt, was und wie man denkt; bis eines Tages die Katastrophe da ist – an einem Tag, der vielleicht Jahrhunderte braucht, um aus der Nacht der zunehmenden Gedankenlosigkeit aufzugehen.
Das eigentliche Befehlen ist ein Gehorchen gegenüber jenem, was in freier Verantwortung übernommen, wenn nicht gar erst geschaffen sein will.
Freilich steht hier noch eine Entscheidung offen: Ob ein Denker so sprechen soll, daß ihn ein beliebiger Jedermann ohne weiteres Zutun versteht, oder ob das denkerisch Gedachte so gesagt sein will, daß die Nachdenkenden erst sich auf einen langen Weg machen müssen, auf dem jener Jedermann notwendig zurückbleibt und nur Einzelne vielleicht in die Nähe des Ziels gelangen.
»Die europäischen Fürsten sollten sich in der Tat besinnen, ob sie unsrer Unterstützung entbehren können. Wir Immoralisten – wir sind heute die einzige Macht, die keine Bundesgenossen braucht, um zum Siege zu kommen: damit sind wir bei Weitem die Stärksten unter den Starken. Wir bedürfen nicht einmal der Lüge: welche Macht könnte sonst ihrer entraten? Eine starke Verführung kämpft für uns, die stärkste vielleicht, die es gibt –: die Verführung der Wahrheit … Der ›Wahrheit‹? Wer legt das Wort mir in den Mund? Aber ich nehme es wieder heraus: aber ich verschmähe das stolze Wort: nein, wir haben auch sie nicht nötig, wir würden auch noch ohne die Wahrheit zur Macht und zum Siege kommen. Der Zauber, der für uns kämpft, das Auge der Venus, das unsere Gegner selbst bestrickt und blind macht, das ist die Magie des Extrems, die Verführung, die alles Äußerste übt: wir Immoralisten – wir sind die Äußersten …« (F.N.)
Für die Mächtigsten kämpft »der Zauber« des Extrems.
»Gerechtigkeit, als Funktion einer weitumherschauenden Macht, welche über die kleinen Perspektiven von Gut und Böse hinaussieht, also einen weiteren Horizont des Vorteils hat – die Absicht, Etwas zu erhalten, das mehr ist als diese und jene Person.«
Die befehlende Erklärung und die dichtende Verklärung sind »recht« und gerecht, weil das Leben selbst im Grunde das ist, was Nietzsche Gerechtigkeit nennt.
Die politischen Ausdeutungen des Nietzscheschen Grundgedankens fördern am meisten die genannte Verflachung, wenn nicht sogar die Durchstreichung des Wesens des Willens zur Macht. Dabei ist es gleichgültig, ob die politischen Falschmünzereien dem Deutschenhaß Nahrung geben oder einer Deutschenliebe »dienen« sollen.
»Am Anfang steht das große Verhängnis von Irrtum, daß der Wille Etwas ist, das wirkt, - daß Wille ein Vermögen ist … Heute wissen wir, daß er bloß ein Wort ist …« (F.N.)